Wisch bitte die Treppe

Als ich 2012 in meine erste eigene Wohnung zog merkte ich schnell, das Leben kostet Geld und es ist nicht immer alles so einfach, wie ich es mir vorgestellt und erhofft hatte.

Deshalb begann ich im Frühjahr des darauffolgenden Jahres mit einem Nebenjob. Industriereinigung.

Mir wurde prophezeit, dass es ein körperlich harter Job werden würde, doch mir gefiel die Vorstellung etwas mit meinen Händen zu machen, wofür ich nicht unbedingt meinen Kopf benötigen würde, denn das tat ich, meiner Meinung nach, im Studium schon wirklich genug.

So kam es dann also, dass ich Montag bis Freitag in die Uni ging und mir Mühe gab, fleißig und erfolgreich zu studieren. Samstag und manchmal auch Sonntags ging ich meiner Nebentätigkeit nach. Um Viertel vor 6 stand ich auf der Matte, um 6 Uhr morgens begann meine Schicht. Wirklich keine feierliche Uhrzeit. Aber ich gewöhnte mich daran.

Mir die Geheimnisse des Putzens nahe zu bringen, war ein wahrhaft großes Abenteuer. Auf der Arbeit wurde frei nach der „Friss-oder-stirb“-Mentalität gehandelt. Wer zuerst kommt malt zuerst:

Dieser bekommt dann den noch saubersten Eimer. (Nein nein, nach der Benutzung muss man sie nicht unbedingt wieder reinigen. So ist dann das Erfolgserlebnis umso höher, wenn man nächste Woche einen der saubersten ergattert.)

Dieser bekommt dann einen der noch „guten“ Lappen.

Dieser kann schnell den für sich besten Platz zum Putzen ausloten (möglichst dort, wo es nicht allzu dreckig/ stickig/ übel riechend/ zu warm ist).

Und dementsprechend dann auch schneller wieder Pause machen! (zum Rauchen/ interessiert in der Gegend herum schauen/ auf die Toilette zu gehen/ nochmal zu Rauchen.)

Ein wirklich harter Machtkampf, jeden Morgen.

Als „Neue“, zierliche kleine Frau, mit leiser Stimme, hat man dort nicht unbedingt die besten Karten. Manchmal zieht der Beschützer- oder Mitleidsbonus, doch im Großen und Ganzen musste ich dadurch.

Mich jeden Samstag aufs Neue ins Getümmel stürzen, Allianzen schmieden, sich behaupten und auch mal „Nein“ sagen. Eine Schule, die fürs Leben prägt.

Die verschiedenen Wisch- und Putzttechniken schaute ich mir bei meinen Kolleginnen ab. Ich hatte zuhause zwar auch schon geputzt, und seitdem ich alleine wohnte putze ich sogar regelmäßig meine ganze Wohnung, doch dies war kein Vergleich zum Industriereinigen.

Es gab einige Punkte, die wären mir (so selbstverständlich wie sie eigentlich erscheinen) nicht in den Sinn gekommen und sind mir auch nicht immer sofort aufgefallen.

Zum Beispiel die Tatsache, dass es Sinn macht, den, beispielsweise Trafo, mit einem trockenen Lappen abzuwischen, nachdem man ihn mit einem feuchten (aber nicht zu nassen!) Lappen bearbeitet hatte. So ergeben sich keine, oder wenigstens nicht zu viele, Striemen und Schlieren auf der Oberfläche.

Ich schaute mir also die Wischtechniken ab. Lernte, wie man effektiv einen Lappen auswringt und wieviel Industrieputzmittel man pi mal Daumen in den Eimer geben sollte.

Ich lernte, wie man einen Boden wischt. Habt ihr euch mal überlegt, wie viel unterschiedliche Möglichkeiten es dazu gibt?

Ich möchte euch ein Beispiel geben, um veranschaulichen zu können, was ich meine.

Eines Samstagmorgens, wir sind gerade an dem für heute vorgesehenen Arbeitsplatz angekommen, teilte unser Chef die Aufgaben für heute ein. V und W sollten die Fenster putzen. C mit dem großen Industriestaubsauger die Teppichböden bearbeiten, nachdem er die Farbreste abgekratzt hatte. Für unsere Verhältnisse wirklich ein entspannter Tag.

Im Vergleich zu den Momenten, in denen wir in schwindelerregende Höhen, ohne Sicherung, klettern mussten, um die Maschinen gründlich von oben bis unten sauber zu machen. Das eingetrocknete Öl zu entfernen, die Turbinen von innen auszuwischen. Es war oft heiß und stickig. Die Luft war unangenehm und der Staub, der durch die Gegend flog, war nur mit einem Mundschutz und einer Schutzbrille einigermaßen zu ertragen.

Zurück zum besagten Samstagmorgen: Nun kam ich an die Reihe: „Anna, wisch bitte die Treppe. Wenn du das fertig hast kannst du schauen wie weit die anderen sind. Wenn wir die Möbel reingetragen haben, müssen wir sie noch kurz trocken abwischen.“ „Alles klar.“

Treppe wischen.

Puh. Nun geht das ganze los. Ersteinmal muss ausgelotet werden, was ich für Arbeitsgerät benötige. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass das erforderliche Werkzeug dann auch auf dem Hänger ist, oder ob ich noch einmal ins Lager gehen muss, um es zu holen, weil es vergessen wurde.

Ist für das passende Arbeitsgerät gesorgt hole ich mein Wasser. Dazu muss ich ersteinmal eine Toilette und/ oder einen Wasserhahn finden, unter den mein sperriger Putzeimer passt. In einem großen Werk nicht immer schnell zu finden.

Nun kommen wir zu den wichtigen Fragen des Lebens:

Wie putze ich nun diese Treppe?

Von oben nach unten? Von unten nach oben?

Putze ich jede Stufe komplett, auf die Gefahr hin, dass sie mehrmals von meinen Kollegen auf ihrem Weg zum Arbeitsplatz oder zur Pause genutzt werden müssen und ich jedes Mal wieder von vorne anfangen darf?

Putze ich erst die linken Hälften der Stufen, dass die rechte Seite noch benutzt werden kann? Oder umgekehrt?

Aber sieht man dann nicht den Übergang auf jeder Stufe?

Vielleicht sollte ich erst feucht und dann direkt trocken drüber gehen, in der Hoffnung, die Arbeitsschuhe hinterlassen keine Schlieren?

Gehört zum Treppen wischen auch, das Geländer zu reinigen? Er hatte es ja nicht gesagt, aber eigentlich ja schon. Vom „Logischen“ her.

Und wische ich dieses Geländer dann zuerst? Und dann von oben nach unten, oder von unten nach oben?

Fragen über Fragen.

Der Mut musste zusammengenommen und Entscheidungen getroffen werden. Jeden Arbeitstag aufs neue traf ich sie, nach bestem Wissen und Gewissen. Manchmal lag ich richtig, manchmal wurde mir aber auch charmant mitgeteilt, dass ich komplett daneben lag. Wie doof  man eigentlich sein könne.

Fast 2 Jahre ging ich dieser Nebentätigkeit nach. Sie wurde gut bezahlt und ich lernte sehr viel für mein Leben. Abgesehen davon, dass meine Hemmschwelle beim Reinigen von Gegenständen wirklich gesunken ist, vorallem die Tatsache, was es heißt,

sich zu behaupten.

In einem bestimmten, aber freundlichen Ton für sich einzustehen. Immer wieder mit neuen und fremden Situationen zurecht zu kommen, war sehr schwierig für mich.

Wir erfuhren immer erst am jeweils direkten Tag, wo wir zu arbeiten hatten und mit wem. Meine Ängste vor dem Arbeiten gehen wurden immer größer. Teilweise dachte ich schon Tage vor dem Samstag darüber nach, was mich wohl erwarten würde.

Ob ich „Glück“ hatte, und einer körperlich einfacheren Arbeit nachgehen durfte, mit Menschen die ich mochte. Oder eben Pech.

Es schlich sich keine Routine ein, was für mich nur noch schwer erträglich war. Deshalb beendete ich auch die Nebentätigkeit.

Ich war dem Druck und der Angst, vor dem was ich erledigen musste, nicht mehr gewachsen.

Daraus lässt sich ziehen: Gebe mir klare und eindeutige Anweisungen. Versuche nicht verschnörkelt zu reden und bleibe geduldig, wenn ich zwei dreimal nachfrage. Auch viermal kann schon mal vorkommen. Viele, für dich vielleicht klein erscheinende, Facetten beschäftigen mich und werfen vielleicht Fragen auf. Sicherheit ist wichtig. Und auch eine gewisse Form der Routine. Sie ermöglicht Freude und die Gewissheit, was auf mich zu kommt.

Werbung

5 Gedanken zu “Wisch bitte die Treppe

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s