Das gehört da nicht rein

„Bitte mach die Schublade zu.“

„Das Kabel schaut heraus, bitte pack das weg, ich kann es nicht angucken.“

„Kannst du bitte das Messer wegdrehen, die Spitze schaut mich an.“

„Kannst du bitte das Kissen ein bisschen wegräumen, es berührt mich.“

„Kannst Du bitte die Handtücher anders falten? Es ist nicht richtig so.“

„Kannst du mir bitte die Fernbedienung geben? Dann kann ich lauter und leiser machen wenn die Filmmusik kommt.“

„Können wir bitte eine Doku schauen? Ich kann gerade keinen Film schauen, da flimmern die Szenen so schnell und es ist so hell.“

„Kannst du das Licht bitte ausmachen? Es ist so hell, ich kann nicht filtern.“

Diese und viele weitere Sätze fallen in unserem Haushalt teilweise jeden Tag.
Ich brauche ganz bestimmte Strukturen, sehe schnell, wenn etwas nicht an „seinem“ Platz liegt. Oder schief an seinem Platz liegt.

Oft ist mir der Fernseher viel zu laut und das Licht zu hell.
Ich brauche ganz bestimmte Anziehsachen zuhause, in denen ich mich wohl und sicher fühle und bestimmte Dinge, die ich immer in meiner Tasche dabei habe, sobald ich aus den Haus gehe.

Bereits als Kind war ich sehr eigen mit meinen Sachen, erzählte euch bereits in früheren Beiträgen, dass ich mein Spielzeug nicht gerne oder gar nicht teilte.

Mir sind meine Dinge sehr sehr wichtig. Ich verbinde viel mit jedem einzelnen Gegenstand, weshalb ich sie hüte und pflege und mich immer wieder aufs neue zutiefst an ihnen erfreuen kann.

Dinge sind emotional aufgeladen für mich, sie geben mir Halt, in meiner persönlichen Struktur die dringend zuhause aufrecht erhalten werden muss.

Anders als das gängige Klischee kann ich wenn es mir gut geht und ich entspannt bin auch spontan etwas unternehmen.

In meiner Struktur zuhause sieht es hingegen anders aus.
Niemals darf dort etwas grundsätzlich verändert werden ohne vorher mit mir zu sprechen.

Keine Möbel verschoben werden, keine Gegenstände von mir genommen und im schlimmsten Fall sogar irgendwo mit aus dem Haus genommen werden.

Alles in meinem Zuhause ist mir sehr sehr wichtig.

Von der Ordnung, wie ich die nasse Wäsche aufhänge, bis zu der Seife die ich im Badezimmer benutze.

Ich versuche nicht zu starr auf andere zu wirken, locker zu sein, oder zumindest locker zu wirken.
Doch sobald ich Gäste habe, die etwas an meinem Zuhause verändern, macht mir das großen Stress. Ich sage dann meistens nichts, doch kann mich dann schwer oder gar nicht auf etwas anderes konzentrieren.

Jedes Kissen, jede Schale auf dem Tisch ist mir sehr wichtig.
Ich empfinde eine tiefe Ruhe wenn ich Dinge zuhause anschaue. Ich freue mich daran und bin stolz.

Wenn mein Zuhause ruhig, klar und aufgeräumt ist, geht es mir besser.
Ich kann mich fallen lassen und mich ausruhen, was immer wichtiger für mich wird.

Ich habe das Gefühl, die Welt draußen wird für mich immer anstrengender.

Mein Freund, der mit mir gemeinsam lebt, hat großes Verständnis für mich und unterstützt mich wo er kann.

Wir bringen gegenseitiges Verständnis auf, natürlich kann er etwas mal vergessen und es nicht so wahrnehmen wie ich, deshalb versuche ich sanft aber mit Nachdruck zu erinnern und zu bitten darauf einzugehen.
Im Gegenzug arbeite ich daran, klar zu kommunizieren.

An schlechten Tagen, wenn ich nicht sprechen kann, kann ich nun mithilfe von Schildern kommunizieren.
Mein Freund hat mir ein „Ja“- und ein „Nein“- Schild gebastelt, das ich nur hoch zu halten brauche, wenn er mich etwas fragt, um mich zu unterstützen.

Wenn ich mich umschaue, bin ich umgeben von Dingen, die ich liebe.
Selbstgemachtem, Geschenktem, so viele wunderschöne Dinge.
Ich erfreue mich zutiefst daran.

Auch als Kind war ich schon so.
Zuhause ist heilig, zuhause ist Ruhe.
Bitte nicht ungefragt Spielsachen wegräumen, den Schreibtisch oder ähnliches aufräumen, auch wenn es gut gemeint ist.

Es kann sein, dass eine ganz bestimmte Struktur dahinter steht, die nicht für jeden ersichtlich ist.
Unruhe zuhause, Unruhe im eigentlichen Ruhepol lässt die Stütze, dass was gegen den Alltag und die Unsicherheiten eine Festung sein sollte, bröckeln.

Meine Eltern haben mich nicht bestraft, wenn ich Spielsachen nicht teilen wollte. Sie haben mit mir gesprochen, mir zugehört und alternative Wege mit mir gesucht.

In jeglichen Situationen, immer und immer wieder reflektiert und gesprochen, damit ich so gut es geht vorbereitet war auf Kindergarten und Co. Damit ich im Nachhinein für mich Unverständliches verstehen konnte.

Versucht zu sprechen und vorallem, zu zuhören.
Zu beobachten, unaufdringlich und dabei aufmerksam zu sein.

Ich werde nun ein bisschen aufräumen, die vorhandene Struktur pflegen. Und ich freue mich darauf!

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3 Gedanken zu “Das gehört da nicht rein

  1. “Ich habe das Gefühl, die Welt draußen wird für mich immer anstrengender.“

    Es geht mir absolut genauso und keine Frage es ist auch so. Daher brauch man dringend eigen Strategien, um irgendwie klar zu kommen. Das mit den Ja/nein Schildern ist in Akut Phasen wohl sinnvoll. Dein Freund hat sich echt Gedanken gemacht wie eure Kommunikation aufrecht erhalten bleiben kann.

    Es ist schon krass, was das Gehirn, die Wahrnehmung mit einem so macht bei fehlendem Filter.

    Grüße Schafi

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    1. Ich freue mich über deine Worte und gebe dir absolut Recht.
      Die Wahrnehmung und das Gehirn sind so komplex und bei fehlendem Filter ist es nicht immer einfach.
      Vielleicht wird es in naher Zukunft einen Durchbruch bei der Forschung geben, sodass es Möglichkeiten der Unterstützung gibt.

      Herzliche Grüße, Anna

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      1. Hallo Anna.

        Oh ja, das sind sie. Das komische ist, dass es einen so unfassbar krank machen kann und dennoch so spannend ist.

        Ja vielleicht wird es diesen Durchbruch in der Forschung geben, gerade Menschen die tiefer im Spektrum stecken und wirklich oft daran „kaputt“gehen, würden sich darüber sehr freuen. Hoffen wir doch, dass daran gearbeitet wird und das im positiven Sinne und nicht zum Zwecke, all die wunderbaren Denkweisen und „Fähigkeiten“ von Aspergern und Co. auszumerzen ;))…

        LG, Schafi

        Gefällt 1 Person

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